Säuselboys
Sabsette
Junge Welt, 20.7.2009
Jenseits des Kneipenknasts
Gereimt, lyrisch und trotzdem gut: Sabsette entzücken die Gemüter
Von Reinhard Jellen
In der Tat braucht man sich nicht zu wundern, warum die Kunst der BRD so schlecht ist, denn in keinem anderen Land der Welt hat mit spätestens der Konterrevolution auch deren Ästhetik, die Romantik, so durchgehend gesiegt: der vollkommene Bruch mit dem Prinzip der Widerspiegelung (als ob die rein künstlerische Selbstbespiegelung nicht die Widerspiegelung einer gescheiterten Widerspiegelung wäre), damit einhergehend die lächerliche Kanonisierung artistischer Subjektivität sowie das ernstzunehmende Comeback religiöser Komponenten leider auch außerhalb der Kunst.
Nirgendwo wird die Allegorie, die komplette Ohnmacht vor und der Verzicht auf die bewußte Darstellung in der Form so als künstlerischer Sieg gefeiert und die Gesinnung der Künstler in den Vordergrund gerückt: Da die Künstler nicht fähig sind, die Bedeutungsebene anhand der Formen transparent zu machen, wird der Inhalt aufgrund seiner vermeintlichen Nicht-Darstellbarkeit immer wilder und doller. Kein Lied, das nicht ein avantgardistisches politisches Manifest sein möchte. Oder noch oller: Lyrik. Ein Metier, in dem sich nicht nur nach dem weltbekannten Erkenntnistheoretiker Martin Lickleder bevorzugt Poetry-Slam-Workshop-Tanten und andere Nobrainer tummeln, die ihre abenteuerlich gereimten Wie-schlimm-es-mir-geschah-Kaspar-Hauser-Botschaften in Prosa auch nur stammelnd zu vermitteln nicht in der Lage sind und strikt nach dem subventionierten Grundsatz verfahren: Wenn es zu dumm für Pop ist, ist es noch längst nicht zu dumm für die Kunst.
Somit ist die Sensation bei der Debüt-CD der Münchner Duos »Sabsette« nicht so sehr eine elaborierte Botschaft mitsamt minder oder gleichfalls originellen Formen, als die gelungene Vermittlung des Inhalts mit der Form, eben darum, weil die Formen souverän gehandhabt werden. Die Worte sind gereimt, lyrisch und trotzdem gut. Deswegen bilden die Sätze Bilder, die Bilder Geschichten und die Geschichten funktionieren. Und weil dies alles intelligent formuliert ist, merkt man bald, daß hinter all den abgegriffenen Bildern der Verheißung und des Glücks, die momentan nur als Kitsch und als Klischees ihren uns quälenden Ausdruck finden, die Sonne des Sinns scheint, der wiederum die Basis der Texte ausmacht: »Der Winter war lang/ der Frühling zu kalt/ Kaum ist Sommer/ Kommt der Herbst auch schon bald/ Du könntest doch bleiben/ Genau wie der Wind/ Bis die fallenden Blätter treibende Schneeflocken sind.«
Die Texte berichten von den Irrungen und Wirrungen des Alltags, der Mißlichkeit, zu wenige Leben auf einmal zu leben, dem fröhlichen Treiben auch jenseits des Kneipenknasts und den bezwungenen Siegen und den geglückten Niederlagen in einem brennenden Krisengebiet namens Liebe. Aufgenommen wurde das Album in der Küche. Sabsette besteht aus der Sängerin Sabine Appeltauer und dem Musiker Hannes Haidukiewicz; ihre Musik nennen sie »naiven Elektropop«, was zeigt, daß sich ihre Arglosigkeit durchaus in Grenzen hält. Mit dem fünffach ironischen, die politische Ohnmacht abfeiernden »Lieber dafür« haben sie am fm4-Protestsong-Contest teilgenommen und prompt den vierten Platz belegt: »Wir kleben Pflaster auf Steine und werfen nicht damit/ Wir vermummen das Verbot/ Wir entschleiern die Fahndung und suchen selber mit und reden das Schweigen tot/ Wir entfremden den Haß und bürgern ihn aus und geben dem Exil Asyl/ Wir grenzen Barrieren an den Fronten aus und pressen Freiheit auf Vinyl«
Das musikalische Spektrum bewegt sich zwischen guter deutschsprachiger Popmusik mit prägnantem New-Wave-Einschlag à la Lassie Singers, The Go!Team, Quincy Jones und zeitgenössischem R&B. Auch hier wird ein Feld bestellt, in dem sich nicht gerade wenige Musengärtner tummeln, nur daß hier einmal das Vergnügen der Musiker und des Hörers Lauscharbeit Früchte tragen. Wer möchte nicht einmal Refrains wie »Dein Bier ist fast schon leer/ Trink’s doch aus!« oder »Ich wünschte, ich wär mehr als der Zwerg/ Der vor Dir steht« mitsingen, nachdem man sie bereits ohne reizende musikalische Begleitung auswendig wußte?
Kurzum: Die Musik von Sabsette ist ein berückender Klang-Cocktail, gemixt aus der bitteren Milch des Lebens, ein Nadelstich ins Herz, ein Elektroschock fürs Hirn und freilich auch sonst ein Ohrenschmaus.
Sabsette: »Sabsette« (Lauschblume 2009)
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Film music
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"Bei diesem Film passen das Tempo, getaktet nicht zuletzt durch den bedachten und beglückenden Einsatz von Musik, die Bilder und die Gesamtdramaturgie."
Simon Hadler, ORF